Moderne technische Hilfsmittel für Blinde: Wann die Krankenkasse zahlt

2019-08-16 | Von Orcam Staff

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Hilfsmittel für Blinde - Wann zahlen die Krankenkassen?

Wer eine Seheinschränkung hat, ist auf verschiedene Hilfsmittel angewiesen. Die oftmals hochwertigen Geräte werden nicht immer gleich von den Krankenkassen erstattet. Warum es sich lohnt, hier dranzubleiben und was ein aktuelles Gerichtsurteil damit zu tun hat, zeigt dieser Artikel.

Grundsätzlich ist es so, dass es für jedes Hilfsmittel für Blinde es eine so genannte medizinische Indikation geben muss, d.h. es sind Voraussetzungen definiert, die der Antragsteller erfüllen muss. Die medizinische Voraussetzung für die Bewilligung von Blindenhilfsmitteln (wie z.B. der OrCam) ist eine Augenerkrankung, die mit einer hochgradigen Sehbehinderung oder Blindheit verbunden ist.

In jedem Fall sollte die eigene Sehstärke von einem Arzt genau dokumentiert sein, um gegenüber der Krankenkasse mit belastbaren Daten argumentieren zu können.

Ab wann ist man blind?

Das Maß der Beeinträchtigung entscheidet letztlich über die Einstufung der Sehbehinderung. Und damit über die Übernahme möglicher Hilfsmittel. Hierfür hat die Weltgesundheitsorganisation WHO eine Abstufung definiert.

Sehbehinderung: das Sehvermögen ist kleiner oder gleich 30 Prozent oder 1/3 (wird auch bezeichnet als Visus kleiner = 0,3). Dann liegt generell eine Sehbehinderung vor.

Hochgradige Sehbehinderung: diese liegt vor, wenn man eine Sehschärfe von maximal 5% und minimal 2% (Visus kleiner 0,05 = 1/20 und größer 0,02 = 1/50) hat.

Blind: im Sinne des Gesetzes ist in Deutschland blind, wer selbst mit Brille oder Kontaktlinsen weniger als 2 Prozent (auch oftmals als ein Fünfzigstel 1/50 bezeichnet) dessen sieht, was ein normal sehender Mensch erkennen kann.

Die medizinische Voraussetzung für die OrCam etwa liegt im Bereich von kleiner 0,05 und eignet sich damit für stark seheingeschränkte und vollblinde Menschen.

Was ist OrCam MyEye

MyEye von OrCam ist ein mobiles Vorlesesystem für blinde und sehbehindert Menschen. Der kleine Kasten in Größe eines USB-Sticks wird per Magnet an eine Brille geheftet und liest Blinden und stark sehbehinderten Menschen jede Art von Texten vor.

Das Gerät kann also das, was die stationären Vorlesegeräte auch können, der Anwendungsbereich geht jedoch deutlich darüber hinaus. Durch die mobile Einsatzmöglichkeit kann der die Nutzer auch Fahrpläne an Haltestellen, Straßenschilder oder Speisekarten lesen. Neben der Vorlesefunktion verfügt das Gerät auch über eine Produkt- und Gesichtserkennung.

Orcam als anerkanntes Hilfsmittel

Die gute Nachricht für Versicherte: Die OrCam MyEye ist seit November 2017 offiziell vom GKV-Spitzenverband in die Hilfsmittelliste aufgenommen worden. Das Gerät ist in der Produktgruppe 07 gelistet und gilt somit als anerkanntes Blindenhilfsmittel, das inzwischen von immer mehr Krankenkassen bewilligt wird.

Da jeder Antrag als Einzelfall geprüft wird, kann man die Erfolgsaussichten nicht pauschal einschätzen. Es besteht aber für jeden Antragsteller innerhalb der genannten medizinischen Indikation eine gute Chance der Bezuschussung oder sogar der Vollerstattung des Hilfsmittels.

Hilfsmittel für Blinde beantragen: Beispiel OrCam

Sie reichen bei der Kasse die Verordnung vom Arzt (unter folgendem Link finden Sie ein Muster: http://www.kbv.de/media/sp/Sehhilfen_Muster_8a.pdf) und einen sogenannten Erprobungsbogen ein. Dieser wird vom Händler ausgestellt und bestätigt die Eignung der OrCam. Der Händler kann zudem noch eine detaillierte Argumentation darlegen, weshalb die OrCam für den Antragsteller das passende Hilfsmittel der Wahl ist.

Es gab bereits Bewilligungen außerhalb der medizinischen Indikation, etwa wenn mit entsprechendem Attest vom Augenarzt ein erheblicher Gesichtsfeldverlust im zentralen Sehen (Makuladegeneration) diagnostiziert wurde, welcher das Lesen unmöglich macht.

Mittlerweile gibt es auch ein Gerichtsurteil vom Sozialgericht Gelsenkirchen (AZ.: S 11 KR 1400/17), auf das man sich in der Argumentation berufen kann, etwa wenn man einer Absage der Krankenkasse mit einem Widerspruch begegnet. Dies sollte man auf jeden Fall tun, um die Chancen auf eine Kostenerstattung zu erhöhen.

Wir haben auch hier nochmal detailliert beschrieben, wie man OrCam als Hilfsmittel beantragen kann.

Das Urteil im Wortlaut:

( Sozialgericht Gelsenkirchen, Urteil vom 9. August dieses Jahres (Az.: S 11 KR 1400/17):

“Nach der Überzeugung des Gerichts bietet das beantragte Hilfsmittel für die Klägerin einen wesentlichen Gebrauchsvorteil, der geeignet ist, ihre bestehende Behinderung im Alltagsleben auszugleichen. Es handelt sich nicht – wie üblich – um ein stationäres Vorlesegerät, welches lediglich im häuslichen Bereich verwendet werden kann. Die Klägerin wird vielmehr durch die praktische Befestigung der Kamera an ihrer Brille jederzeit durch die Technologie unterstützt, unabhängig davon, ob sie sich zu Hause oder unterwegs befindet. Zudem erfordert die OrCam MyEye kein aktives Platzieren des Textes unter das jeweilige Vorlesegerät, wie dies bei üblichen Vorlesegeräten der Fall ist (…). Das Gericht hat weiter berücksichtigt, dass der Anwendungsbereich der OrCam MyEye über den eines gängigen Vorlesegeräts hinausgeht. So kann das beantragte Hilfsmittel bis zu 100 Gesichter nach deren Einspeicherung erkennen. Die Klägerin ist daher beispielsweise nicht mehr darauf angewiesen, die vor ihr stehende Person nach ihrem Namen zu fragen. Darüber hinaus sieht das Gericht einen wesentlichen Gebrauchsvorteil darin, dass es sich bei dem Hilfsmittel zugleich um ein Produkterkennungsgerät handelt (…) Die Gesamtheit der genannten Funktionen führt zu einem erheblichen Gebrauchsvorteil im Vergleich zu herkömmlichen Vorlesegeräten.”

(Quelle: https://www.rbm-rechtsberatung.de/wp-content/uploads/2018/12/erheblicher_gebrauchsvorteil.html)

Fazit: Moderne technische Hilfsmittel für Blinde werden immer häufiger von den Krankenkassen übernommen. Wichtig ist eine saubere Dokumentation der eigenen Einschränkungen und das Wissen um die richtige Beantragung.

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