Blind kochen: Ohne Ordnung, Geduld und Mut wird es schwer

2021-05-25 | Von Orcam Staff

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Blind kochen | So gelingt das Menü unter schwierigen Bedingungen

Blindsein bringt viele Alltagsherausforderungen mit sich. Blind kochen ist eine davon, denn hier haben blinde und sehgeschädigte Menschen mit verschiedenen Schwierigkeiten zu kämpfen. Um sie zu überwinden, gibt es Hilfsmittel und Tricks, damit das eigenständige Kochen der Lieblingsspeisen mit etwas Übung uneingeschränkt möglich ist.

Hürde Nummer Eins: Küchengeräte und ihre Bedienung

Moderne Küchengeräte mit Touchscreen sind für blinde und sehbehinderte Menschen ein Problem, denn sie orientieren sich beispielsweise an hervorgehobenen Herdplatten, Markierungen oder Drehknöpfen mit Einrast-Funktion. Diese gibt es bei den meisten elektronischen Geräten nicht mehr.

Für das Ertasten, welche Gradzahl am Herd eingestellt ist oder ob Topf und Pfanne auf der Kochfläche stehen, brauchen blinde Menschen Orientierungspunkte und suchen deshalb oft nach Geräten älterer Baujahre. Denn bei denen können an Herdknöpfen und anderen Bedienelementen selbstklebende Markierungspunkte angebracht werden, die bei der richtigen Einstellung von Hitze am Herd oder Ofen behilflich sind.

Hürde Nummer Zwei: Rezepte, Abmessungen und Gewürze

Auf den meisten Produkten stehen Rezepte oder die Bedienungsanleitung in Schwarzschrift auf der Verpackung und sind so für Blinde nicht lesbar.

Es ist heute jedoch möglich, sich die Rezepte vorlesen zu lassen. Ist kein sehender Mensch vor Ort, hilft entweder die App „Be my Eyes“. Hier helfen sehende Menschen im Chat. Noch unabhängiger ist man mit dem computergestützten Vorlesegerät OrCam MyEye, das von der gesetzlichen Krankenkasse in Deutschland bezahlt wird. Das leichte Multifunktionsgerät wird an der Brille befestigt und kann auch Farben und Produkte in Echtzeit erkennen.  Für das eigenständige Kochen ist die OrCam daher eine große Hilfe.

Neben dem Lesen von Rezepten oder Bedienungsanleitungen, brauchen blinde und sehbehinderte Menschen auch Orientierung bei Gewürzen und Mengenangaben. Deshalb empfiehlt es sich, Gewürze in alphabetischer Reihenfolge zu ordnen, Salz und Zucker in unterscheidbare Gefäße zu füllen und stets dieselben Behältnisse fürs Abmessen zu nutzen, damit sich ein Gefühl für Mengenangaben einstellt. Um dies zu vereinfachen, hat sich Phillip Berthoud in seinem Kochbuch „1 Maß, 50 Rezepte“ für einen vollen Joghurtbecher entschieden und darauf seine 50 Rezepte angepasst.

Blind kochen – Tipps und Tricks:

  • Kleine Mengen von Flüssigkeiten lassen sich gut mit einem Kaffeelöffel abmessen.
  • Genormte Messbecher gibt es in unterschiedlichen Größen mit fühlbaren Innenmarkierungen.
  • Sprechende Waagen erhält man bei Anbietern, die sich auf Blindenhilfsmittel spezialisiert haben oder im Online-Handel.
  • Beim Befüllen von Wasserkochern empfiehlt es sich, ein Gefäß zum Abmessen der Wassermenge zu nutzen. In einigen Kaufhäusern sind auch Wassererhitzer mit einer spürbaren Markierung erhältlich.
  • Beim Kartoffelschälen den Sparschäler benutzen und sie gelegentlich in warmes Wasser eintauchen. So kann man besser fühlen, ob und wo noch Schale an der Kartoffel ist.
  • Für Gewürze, die man nach dem Kochen gern wieder entfernen möchte, wie Lorbeerblatt oder Wacholderbeeren, bietet sich ein Einmal-Teebeutel an. Er kann dann problemlos entfernt werden, wenn er seinen Zweck erfüllt hat.

Hürde Nummer Drei: Das Kochen selbst

Ist nun alles abgemessen und auf dem Herd, wird es wichtig, wann das Essen fertig ist. Normalerweise entscheiden sehende Menschen das nach Optik. Blind kochen aber heißt: Man ist auf Tast- und Geruchssinn angewiesen. Trotzdem ist die Gefahr, dass man sich verletzt, oft gegeben. Hier helfen Hilfsmittel oder die Anschaffung spezieller Töpfe.

Allgemeine Tipps und Tricks:

  • Zum Abgießen von Kartoffeln, Nudeln und Gemüse eignen sich italienische Nudeltöpfe in unterschiedlichen Größen. Die Töpfe haben schräge Deckel und an einer Seite Löcher, durch die das Kochwasser verletzungsfrei abgegossen werden kann. Alternativ eignet sich auch eine sogenannte Abgießhilfe, die es im Haushaltswarenbedarf gibt.
  • Um das Überkochen beispielsweise von Milch zu vermeiden, kann man einen Milchwächter nutzen. Die drei Zentimeter große Porzellanscheibe macht sich akustisch mit einem Alarm bemerkbar, wenn die Flüssigkeit kocht.
  • Zum Braten eignet sich für Blinde eine Doppelpfanne. So kann das Bratengut durch das Umdrehen der Pfanne gewendet werden. Muss der heiße Pfanneninhalt doch berührt werden, ist es sinnvoll, sich ein Schälchen Wasser neben den Herd zu stellen. Die Finger benetzt man dann vor dem Anfassen des heißen Bratguts kurz. Durch das Wasser, das beim kurzen Berühren der heißen Speisen verdunstet, bildet sich ein kleines Dampfpolster, das so vor Verbrennungen schützen kann.

Zusammenfassend ist das eigenständige Kochen für Blinde und Sehbehinderte ein Prozess, der geübt werden sollte. Beginnend mit der peniblen Ordnung in der Küche, braucht man Geduld, Mut und Spaß am Experimentieren. Aber wenn es gelingt, ist eine weitere Alltagshürde erfolgreich genommen.